W. Besch: Luther und die deutsche Sprache

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Titel
Luther und die deutsche Sprache. 500 Jahre deutsche Sprachgeschichte im Lichte der neueren Forschung


Autor(en)
Besch, Werner
Erschienen
Berlin 2014: Erich Schmidt Verlag
Anzahl Seiten
181 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Walter Haas

Als Wissenschaftler und Lehrer hat Werner Besch seit Jahrzehnten eine führende Rolle in der Erforschung der Frühgeschichte des Neuhochdeutschen gespielt. In diesem um allgemeine Verständlichkeit bemühten Buch fasst er eigene und fremde Ergebnisse zu seinem Forschungsschwerpunkt zusammen. Die Darstellung ist um das Wirken und die Wirkung Martin Luthers gegliedert, dessen Relevanz für die deutsche Sprache nicht zu bezweifeln, aber auch nicht gar so einfach zu fassen ist.

Besch beginnt mit den sprachlichen Voraussetzungen, in die Luther hineingestellt wurde, und deren Kenntnis er durch seine Habilitationsschrift von 1967 grundlegend erweitert hat. Besch bestimmte dort aufgrund eines Textes, der in Handschriften aus dem gesamten Sprachgebiet überliefert ist, Regionen mit vergleichbarem Schreibgebrauch. Dabei liessen sich auch Zusammenhänge zwischen den Regionen erkennen, etwa zwischen der ostoberdeutschen und der ostmitteldeutschen Schreibsprache. Dies weist auf eine sprachliche Annäherung der beiden Regionen hin, die dann auch für Luthers Schriftsprache bedeutungsvoll werden sollte, und die den Reformator wohl zu seiner Bemerkung bewogen hat, er schreibe nach der kursächsischen (ostmitteldeutschen) und der kaiserlichen (ostoberdeutschen) Kanzlei. Für die sprachliche Wirkung des Reformators war seine Herkunft aus der mittleren Sprachregion zweifellos wichtig.

Für Besch ist «Luthersprache» vor allem Sprache der Bibelübersetzung. Bedeutender als deren dialektgeographische Form waren für ihren Erfolg laut Besch drei Faktoren: Zum einen die «Sprachmächtigkeit» des Reformators, sein stilistisches Genie. Zum andern die Autorität der Heiligen Schrift, an deren Übersetzung er nicht nur seine Begabung gewandt hat, sondern auch seinen ausdauernden Fleiss. Zum dritten die für jene Zeit enorme Verbreitung des Druckwerks, die in seiner zentralen Stellung in den religiösen Umwälzungen der Epoche begründet ist. Luthers Bedeutung für die deutsche Sprachgeschichte wird damit vor allem auf die «höheren» Sprachebenen verlegt, auf die Wahl der Wörter in einer Zeit, in der der deutsche Wortschatz noch alles andere als einheitlich war, auf die Syntax und den Stil. Von geringerer «Nachhaltigkeit» war nach Beschs Meinung Luthers Einfluss auf Schreibung und Formenlehre (Morphologie). Dies scheint sich schon daraus zu ergeben, dass die zahlreichen Nachdrucke der Lutherbibel Schreibung und Formen in die jeweilige Landschaftssprache des Nachdrucks einpassten. Mit dem Wortschatz ging man weniger sorglos um, wie Besch in seinem Kapitel über die Bemühungen der Nachdrucker um die Erklärung der fremdregionalen Wörter mit Hilfe von Registern oder Bearbeitungen zeigt. Erhellend ist der Vergleich von acht Wörtern der Luther-Bibel mit ihren Wiedergaben in der Zürcher Bibel über vierhundertsechzig Jahre. Während jene Wörter in der Luther-Bibel über die ganze Zeit konstant bleiben, werden ihre Entsprechungen in der Zürcher Bibel seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts allesamt durch die Luther-Wörter ersetzt. Sprachgeschichtlich kann dies als Angleichung der Schweizer an die Luther-Sprache und damit an das Neuhochdeutsche interpretiert werden. Aber ganz so einfach ist es nicht. Auch die von den Zürchern abgewählten «eigenen» Wörter, z.B. Gestade, peinigen, zieren, bleiben teilweise im Neuhochdeutschen bestehen, neben den «Luther-Wörtern» Ufer, quälen, schmücken.

Die Wortkonstanz über die Jahrhunderte ist ein Beleg für die hohe Verehrung, die Luthers Bibel genoss – der Text wurde sozusagen kanonisiert. Andererseits wurde dies für die Lutherbibel auch zu einem Problem: Ein Teil ihres Wortschatzes «veraltete», aber da man ihn nicht zu ersetzen wagte, musste er späteren Generationen erklärt werden. Ein Mittel dafür waren die «Bibelglossare», von denen Besch eine ganze Reihe aufführt, und die sich für sprachhistorische Untersuchungen des Wortschatzwandels anbieten. Die Zürcher Bibel dagegen, die zwar als offiziell, aber nie als kanonisch galt, konnte sprachlich und exegetisch kontinuierlich erneuert werden.

Zum Erfolg der Lutherbibel trug auch das Übersetzungsprinzip des Reformators bei, die «konsequent zielsprachliche Ausrichtung». Selbstverständlich geht es immer darum, eine genaue inhaltliche Entsprechung zum Urtext zu schaffen, aber das soll mit den Mitteln der Zielsprache erreicht werden. Luther hat dieses Prinzip im Sendbrief vom Dolmetschen ausgeführt. Der Geist der Zielsprache ist allerdings manipulierbar. Man würde Luther gerne glauben, dass das Wort allein in der Fügung «allein durch den Glauben» bloss stilistisch begründet sei, wenn es nicht «zufällig» auch einen fundamentalen Gegensatz zur traditionellen Gnadenlehre ausdrücken würde.

Luthers Bibel ist als Vorbild für «kor-rektes Deutsch» überaus wichtig geworden. Besch widmet deshalb den historischen Äusserungen zum besten Teutsch ein Kapitel, und ein weiteres den modernen Theorien zur «Entstehung» des Neuhochdeutschen. Bei der Suche nach dem besten Deutsch spielte das «Meissnische» und damit die Sprache Luthers eine wichtige Rolle, auch im Oberdeutschen. Verborgener ist ihre Wirkung bei den Katholiken, die sich zwar «kaum in die Normdiskussion der Zeit einschalten» (88), aber nicht um die Luthersprache herum kamen: Schon die katholischen «Bibelübersetzungen» von Emser, Dietenberger und Eck waren eigentlich bloss korrigierende Bearbeitungen von Luthers Text, und Emsers Fassung, die in Luthers Sprachlandschaft gedruckt wurde, kam diesem von allen Nachdrucken sprachlich am nächsten, allen Korrekturabsichten zum Trotz.

In ein Buch über Luther und die deutsche Sprache gehört natürlich ein Kapitel über die Theorien zur Entstehung des Neuhochdeutschen, von denen Besch die wichtigsten konzis vorstellt. Zwar glauben wir nicht mehr daran, dass der Reformator die deutsche Schriftsprache «erfunden» habe, und die älteren Theorien sind alle ersetzt worden. Aber auch hier kommen wir nicht um Luther herum, denn es kann kein Zweifel daran bestehen, dass seine Bibel für die Verbreitung des Neuhochdeutschen von grösster Bedeutung war.

Das Kapitel über die Sprachentwicklung vom 15. bis zum 18. Jahrhundert stellt einige Ergebnisse der von Besch initiierten «Grammatik des Frühneuhochdeutschen» vor, besonders im Bereich der Formenlehre (für die Luther nicht ausschlaggebend gewesen sein soll). Das Kapitel wendet sich «bewusst ab von Luther und von der Rezeption und Auswirkung seines Bibeldeutsch» – leider, denn die gewählte Darstellung mit Kopien einiger Tabellen von nackten Flexionsendungen und etwas verbindendem Text ist wenig leserfreundlich. In den Zusammenhang der späteren Sprachentwicklung gehört auch das Kapitel mit dem Titel «‹Sprachschöpfer› oder Nachzügler?» Hier wird gezeigt, dass Luthers Region und seine eigene Sprache zwar in gewisser Hinsicht die Sprachentwicklung des Deutschen bestimmt haben, in anderer Hinsicht aber in der Entwicklung zurückblieben. Wieder zeigt sich, dass schliesslich «lutherische» und «nicht-lutherische» Doubletten nebeneinander bestehen bleiben können, wie etwa Worte, Wörter.

Die beiden letzten Kapitel geben einen Überblick zur Entwicklung des Deutschen zur Standardsprache und Hinweise auf spätere Normierungsereignisse, wie etwa auf die Orthographiereformen Ende des 19. Jahrhunderts, die Festlegung einer Bühnenaussprache und das neue Konzept der «nationalen Varietäten» der deutschen Standardsprache. Interessant ist die Karte der «Zeitstufen der Übernahme der Nhd.

Schriftsprache» (146), aber sie ist auch problematisch. So hat der Bairisch-öster-reichische Raum das Neuhochdeutsche nicht «ca. 1750» übernommen (das widerspräche den Ausführungen zur ostober-deutsch-ostmitteldeutschen Schreibsprach-Allianz), vielmehr hat Maria Theresia damals verfügt, die verbleibenden oberdeutschen Schibbolethe in der Schriftsprache nicht mehr weiter zu pflegen.

Das Buch von Werner Besch kann als informative Einführung in die Geschichte des Neuhochdeutschen anhand von Luthers Bibel gelesen werden. Inhaltlich habe ich eine Konkretisierung der oft betonten lebenslangen Bemühungen des Reformators um seinen Bibeltext vermisst, was anhand der autorisierten Auflagen der Bibel zu seinen Lebzeiten möglich gewesen wäre. Selbst die Buchstaben waren Luther nicht gleichgültig, hat er doch bald instinktsicher von einer randständigen ostmitteldeutschen Schreibweise auf die «Orthographie» der führenden oberrheinischen Drucker gewechselt.

Ein zweiter Aspekt liegt Besch am Herzen, nämlich die «Sprachmächtigkeit» des Reformators. Leider ist eine blosse Nebeneinanderstellung von Texten (46, 47) wenig geeignet, den Laien von jener Qualität zu überzeugen. Besch wäre der ausgewiesene Kommentator gewesen.

Zitierweise:
Walter Haas: Rezension zu: Werner Besch, Luther und die deutsche Sprache. 500 Jahre deutsche Sprachgeschichte im Lichte der neueren Forschung, Berlin, Erich Schmidt Verlag, 2014. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 108, 2014, S. 502-504.

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